Ein Schaf geht seinen Weg
Erzählung von Corinna Wagner

1. Schafe unter sich
Es war einmal eine Schafherde. Da gab es junge Schafe, alte Schafe, anstrengende Schafe und pflegeleichte Schafe. Manche hatten sogar weiße Westen an, schwarze gab es auch. Logisch.
Die lebten alle friedlich miteinander auf einer großen Wiese, auf der standen viele Computer und es gab Lautsprecher, die sie unaufhörlich mit Daniel-Musik, Heavy Metal und allem möglichen Hörenswerten berieselten.

Eines Tages ging es einem Schaf sehr schlecht. Es war traurig und verzweifelt, weil sein alter Schafscherer gestorben war, der es immer sehr sanft und liebevoll geschoren hatte. Die anderen Schafe litten gebührlich mit ihm und versuchten es zu trösten, doch es war untröstlich und ging ihnen damit gewaltig auf die Nerven.
„Ich will meinen Schafscherer wiederhaben!“ mähte es unaufhörlich. „Das Leben ist gemein zu mir und ich will, dass ihr mir helft!“ Die Schafe taten ihr bestes, doch irgendwann hatten sie die Nase voll. Besonders die jungen Schafe verstanden nicht, dass es im Schafsleben Situationen gibt, in denen ein Schaf nicht mehr weiter weiß. Das Schaf war ja nicht mehr normal! So etwas wollten sie nicht, denn es hätte ihr katastrophenarmes Schafsleben völlig durcheinander gebracht. Das Schaf musste sich zusammenreißen!
Sie sagten zu dem Schaf: „Hör zu, Schaf! Es wird Zeit, dass du darüber hinwegkommst. Entweder es ist alles easy jetzt dann und du machst wieder mit Gaudi wie früher oder wir sind nicht bereit, länger Rücksicht zu nehmen! So ist das!“
Das traurige Schaf wurde noch trauriger. Es konnte die anderen leichtlebigen Schafe bis zu einem gewissen Grad verstehen, aber das half ihm nichts. Es wusste nicht mehr ein noch aus und seine kleinen Schäfchen mussten den ganzen Tag Cornflakes essen, weil das Schaf nicht mehr kochen mochte und ihm selbst das Grasrupfen Probleme bereitete.
Dann suchte eine schlimme Seuche die Schafsherde heim, der danieleske Schafismus. Mehrere Schafe verfielen diesem Schafswahnsinn – so wie das Schaf früher seinen liebevollen Schafscherer angebetet hatte, begannen sie, das Singschaf Daniel anzubeten. Daran wäre nichts schlimmes gewesen, wenn sie nicht auch jeden aufs schärfste verurteilt hätten, der nicht dem danielesken Schafismus anheimfiel. Das Schaf wurde noch trauriger, da auch einige sehr liebe Mitschafe diese Krankheit bekamen und fortan nicht mehr humorvoll mähen konnten und kontaktophil wurden, unangenehme Begleiterscheinungen des danielesken Schafismus.
Das Schaf wurde immer trauriger.
Schließlich suchte es den Schafopeuthen auf. Der Schafopeuth kümmert sich um alte und traurige Schafe, auch um solche mit gestreifter Wolle, die nicht zum Pullovermachen geeignet ist, und dergleichen mehr. Eigentlich war es eine Schafopeuthin, und sie brachte das Schaf wieder zum Mähen.
In langen Sitzungen auf der Schafopeuthencouch lernte das Schaf, zu verstehen, dass es nichts Böses getan hatte. Es war sich selbst treu geblieben. Es tat ihm zwar leid, dass es die anderen Schafe so angeätzt hatte, doch es hätte die anderen Schafe in dieser Situation nicht im Stich gelassen, davon war es überzeugt. Es war eben ein treues Schaf.
Das Schaf kam in große Versuchung. Einmal im Jahr, in der Schafurgisnacht, können sich Schafe für 12 Stunden in reißende Werschafe verwandeln und Rache üben an allen, die ihnen das Kraut ausgeschüttet haben – wer rechnet schon damit, von einem Werschaf angefallen zu werden ...
Die Schafurgisnacht rückte näher und näher und gleichzeitig rückten die angeätzten oder mit dem danielesken Schafismus angesteckten Schafskollegen dem Schaf immer näher auf das wollige Fell. Sie merkten, dass es dem Schaf besser ging, und um sich ihrem Verhalten von früher nicht stellen zu müssen, blökten sie das Schaf aus dem Hinterhalt dümmlich an und versuchten, ihm einen Huf zu stellen.
Das Schaf überlegte hin und her. Was sollte es tun?

 
 

2. Das Schaf macht eine spirituelle Reise
Das Schaf beschloss, in sich zu gehen. Es glaubte, auf einer spirituellen Reise in die Tiefen seiner abgründigen Schafsseele würde es Klarheit gewinnen, und so begab es sich zu den Erleuchteten Blauwollschafen.
Diese Gemeinschaft war entstanden aufgrund der großen Wirkung, die das Singschaf Daniel auf spirituell interessierte und empfängliche Schafe hatte.
Die Blauwollschafe sind damit beschäftigt, Bäume zu umarmen und Räucherstäbchen auf der Weide abzubrennen und sie ommmen den ganzen Tag. Diese Schafe sind sehr lieb (wenn sie nicht vom danielesken Schafismus oder einem anderen -ismus infiziert sind, was auch bei ihnen vorkommt) und sie haben sich auch alle sehr lieb, wie im Märchen. Sie glauben, dass die Liebe zu ihren Mitschafen viele Probleme der Schafsgesellschaft lösen könnte, und da haben sie sicher recht.
Das Schaf versuchte, ebenfalls so erleuchtet zu werden, und es lernte viel von den Erleuchteten Blauwollschafen. Gelassenheit. Und Verständnis. Doch im Endeffekt konnten sie sein Problem nicht lösen.
Unser Schaf war kein heiliges, sondern ein ganz normales Schaf, mit ganz normalen Rachegelüsten, und vom Bäume-Umarmen allein gingen diese nicht weg.

Das Schaf beschloss daraufhin, es mit einer schafopeuthischen Selbsthilfegruppe zu versuchen. Mit garantierter Gruppendynamik.
Hier machte das Schaf ganz erstaunliche Erfahrungen. Es hatte nicht gewusst, dass es sehr arme Schafe gibt - traumatisierte Schafe, die schon einmal fast vom Wolf geholt worden sind und die Schreckliches erlebt und entsprechend viel aufzuarbeiten haben.
Das Schaf sah ihnen zu bei ihrem gnadenlosen Seelenstriptease, es sah weinende und es sah verzweifelte Schafe., Aber es sah auch Schafe, die dort mitfühlende Seelen fanden. So konnten sie das Geschehene aufarbeiten und glücklich werden, und das war gut so.
Unser Schaf wollte auch wieder richtig glücklich werden, und so wühlte es in seiner durchschnittlichen Schafsvergangenheit – nicht dass es etwas Entscheidendes übersehen oder verdrängt hatte. Doch so sehr es auch wühlte, es kam immer wieder zu dem Schluss, dass diese stinknormal und völlig undramatisch gewesen war. Und dafür war es dankbar!
Das Schaf konnte in der schafopeuthischen Selbsthilfegruppe nichts aufarbeiten, aber umsonst war sein Besuch trotzdem nicht gewesen. Es hatte begriffen, dass manche Schafe nicht anders können, als sich so zu verhalten, wie sie es nun einmal tun, und es empfand Mitgefühl mit diesen Mitschafen.

Wie man sieht, war das Schaf kurz vor der Seligsprechung, als seine spirituelle Reise eine unerwartete Wendung nahm.
Vor seiner großen Trauer hatte das Schaf oft und gern mit anderen Schafen im Heu gelegen und mit Vergnügen Schafskram gemacht. Jetzt kam es ihm manchmal vor, als sei das in einem anderen Leben gewesen, und es konnte sich nicht vorstellen, sich jemals wieder unbeschwert dem Schafskram hinzugeben.
Eines Abends rief eine Freundin an, dessen Lebensgefährtin krank geworden war. Deshalb hatte sie eine Karte für ein supergeiles Sheep Metal-Konzert übrig, und überredete das Schaf, mitzugehen. Es sollte abgelenkt werden von seinen Krübeleien, und das gelang besser als erwartet.
Mitten im schönsten Bangen gelang es einem enthusiastischen Fanschaf, die Bühne zu erklimmen und den Drummer zu küssen. Anschließend stagedivete es ins Publikum (Schafe tun das gern) und es ergab sich, dass es ausgerechnet auf unserem melancholischen Schaf landete.
Erstaunt hielten die zwei beim Bangen inne. Sie sahen sich aus großen Schafsaugen an, und was sie sahen, gefiel ihnen gut. Beim Anblick der dunklen glänzenden weichen Löckchen, blitzenden Augen und des wohlgerundeten Schafskörpers regten sich bei dem Schaf zum erstenmal seit langem wieder schafskramige Gefühle, und dem Metal-Schaf, glücklicherweise einem Bischaf, erging es nicht anders.
Die folgenden Tage verbrachten die zwei Schafe fast ausschließlich im Heu, wobei es sich als vorteilhaft erwies, dass Schafe ihr Bett fressen können und nicht einkaufen müssen.
Sie hatten eine leidenschaftliche Affäre, das Schaf und das Bischaf, mit tollem Schafskram, heißem ungezügeltem Sex, und, fast noch wichtiger, viel ausgelassenem Gekicher.
Es war schafopeuthischer Balsam für des Schafes Seele und zeigte eine sehr heilsame Wirkung – das Schaf fühlte sich in seinem Fell endlich wieder wohl und zuhause.

Trotzdem setzte es seine spirituelle Reise fort. Sein Kummer war noch zu frisch, und es war dem Bischaf freundschaftlich und auch auf schafskramigem Sektor sehr zugetan, doch es verband sie nicht die große Liebe.
Das Bischaf verstand und ließ es ziehen. Im Leben begegnet man sich immer zweimal, dachte es sich - es war noch nicht aller Tage Abend.

3. Es kommt zu einem Schafoskop und der Begegnung mit dem Singschaf
Das Schaf hatte im Heu festgestellt, dass es vieles gab, das es von sich selbst noch nicht wusste. Es wollte sich kennenlernen, denn nur wer seine Stärken und Schwächen kennt, kann sich ändern – falls nötig.. .
Aber wie sollte es das anstellen? Schafsfreunde (oder –feinde) konnten ihm in dieser Hinsicht aufgrund ihrer subjektiven Wahrnehmung keine Hilfe sein.
Die Schafopeuthin hatte einmal gesagt, detaillierte Schafoskope seien sehr hilfreich, um die Schafspersönlichkeit in ihrer ganzen Komplexität zu erkennen. Deshalb beschloss das Schaf, auch für sich ein Schafoskop anfertigen zu lassen. Die Schafopeuthin freute sich über das Wiedersehen und wollte von dem Schaf die genaue Geburtszeit wissen, um seinen Aszendenten bestimmen zu können. Nachdem es vom Kreisverschafungsreferat seiner Heimatweide die gewünschte Auskunft erhalten hatte, stellte sich heraus, dass das Schaf ein Vollmondschaf mit dem Aszendent Wasserbock war. Im ersten Haus stand bei ihm die Sonne mit Pluto von Angesicht zu Angesicht – eine mächtige Konstellation, die ein Schafsleben in wilde Wallungen und innere Zerrissenheit stürzen kann. Nun, soviel hatte das Schaf schon mitbekommen und damit musste es wohl leben.
Andere Konstellationen, die das Schafoskop aufwies, wiesen es aber auch als ein aktives und kreatives Schaf aus. Seine früheren, oft schmerzhaften Erfahrungen böten die Chance, durch Reflexion einen höheren Grad der Weisheit und Gelassenheit zu erreichen. Dadurch könne es sich in Zukunft besser schützen – schließlich sei es kein Opferlamm!
Leider habe bis Ende des Jahres Uranus einen destruktiven Einfluss auf sein Leben, und es müsse sich möglicherweise noch auf einige ungemütliche Monate einrichten. Diese würde es aber mit der geeigneten inneren Einstellung mit links überstehen.
Dies alles leuchtete dem Schaf sehr wohl ein, und es nahm sich ganz fest vor, mit Gleichmut und Humor zu nehmen, was noch kommen würde.

Doch überraschenderweise begegnete unserem Schaf zunächst nur Gutes!
Von Lammbeinen an war es aufgrund der liebevollen Erziehung seiner Eltern immun gegen –ismen aller Art. So konnte es sich auch nicht mit dem danielesken Schafismus und der Kontaktophilie anstecken, die so viele Schafe angesteckt hatte. Im Gegensatz zu den befallenen Schafen, die den Heimatstall des Singschafs belagerten und ohne Unterlass klingelten, hatte das Schaf das Singschaf Daniel bislang nur bei kultigen Konzerten auf der Weidebühne erlebt. Und das genügte ihm völlig. Was hätte es dem Singschaf sagen sollen, was es nicht ohnehin schon wusste?
Eines Tages warf das Postschafi einen mysteriösen Brief in den Stallbriefkasten – Absender war die Schäfische neue Post, eine Tageszeitung. Das Schaf traute seinen Augen kaum – es hatte ein Meet your Sheep! für 2 Personen mit dem Singschaf Daniel gewonnen. Dunkel erinnerte es sich, vor Wochen an einem Gewinnspiel teilgenommen zu haben .... was für eine schöne Überraschung!
Das Schaf wusste zwar immer noch nicht, was es dem Singschaf sagen wollte, aber es beschloss, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Es war zuversichtlich, dass dem Singschaf ganz sicher etwas einfallen würde, dafür war es schließlich bekannt und beliebt.

Zur avisierten Stunde betraten das Schaf und eine Freundin mit zittrigen Hufen eine entlegene Weide und wurden von dem Singschaf und dessen Vater, einem stattlichen Bock, mit freundlichem Mähen willkommen geheißen. Weit und breit war sonst keine Schafsseele zu sehen. So konnte das Singschaf ausgelassen und mit wilden Bocksprüngen herumhüpfen, ohne Autogramme und dergleichen geben zu müssen. Das Schaf hätte ihm dabei ewig zuschauen können, doch der Vater des Singschafs sprach es an:
„Liebes Schaf! Es ist kein Zufall, dass du heute hier bist, denn ich würde mich gern mit dir unterhalten, wenn du einverstanden bist.“
Das Schaf war erstaunt und ein wenig geschmeichelt, dass der Vater des Singschaf es persönlich kannte, doch es stimmte natürlich gern zu und hörte, was er zu sagen hatte..
Der Vater des Singschafs fuhr fort: „Du kennst sehr viele Schafe auf dieser Weide und deshalb möchte ich mit dir reden. Viele von euch haben die Karriere meines Lammes sehr unterstützt und das freut uns.“ Das Schaf freute das auch. „Leider hat mich per Sheepmail aber auch die Kunde erreicht, dass manche meinen, ich sei meinem Lamm kein guter Vater und erfolgreicher Sheepager. Das gefällt mir gar nicht. Ich frage mich, woher wollen sie das wissen? Ich habe doch immer nur das Wohl meines singenden Lammes im Auge und solche Äußerungen verletzen mich sehr!“
Das Schaf dachte nach. Es wollte nichts Unüberlegtes sagen, denn es erkannte, dass das Thema dem Vater des Singschafs sehr wichtig war, und konnte ihn verstehen. Vorsichtig fragte es nach, ob er denn nicht wolle, dass die Fans des Singschafs sich über dessen Tun und Treiben austauschten. Der Vater des Singschafs blähte die Nüstern und schnaubte empört. „Wenn es nur das wäre! Da wäre nichts dran auszusetzen - konstruktive Kritik ist ein Vorrecht der Fanschafe, das ist sonnenklar! Einige unter ihnen aber, und das sind, wie mir zugetragen wurde, immer dieselben Hetzschafe, gehen dabei entschieden zu weit. Ich meine damit nicht dich, liebes Schaf, sonst hätte ich nicht mir dir gesprochen. Doch diese Hetzschafe blöken Schmähreden über mich herum und wissen alles besser.“
Das Schaf war betroffen. Es glaubte dem Vater des Singschafs, dass er zutiefst beleidigt worden war in seiner Eigenschaft als treusorgender Vater eines vielbewunderten Lammes.
Doch es konnte auch die Argumente der Fanschafe verstehen, die mit der sheepagerischen Vorgehensweise des Singschafvaters nicht einverstanden waren. Es kannte einige von ihnen gut, und obwohl sie ihr Schafsmaul ab und an zu weit aufrissen, meinten sie es doch nicht böse, das wusste es ganz sicher.
Das Schaf gab also zu bedenken, dass Schafopolis seit Schafsgedenken eine Demokratie sei. Deren Grundrechte müssten für alle Schafe gewahrt bleiben, und natürlich auch für die Fanschafe.
Jedes gemeine Weideschaf dürfe frei seine Meinung äußern, auch über Themen, die ihm nicht unbedingt vertraut waren. Natürlich seien derlei Absonderungen nicht immer qualifiziert, doch das sei hinzunehmen. Andernfalls müsse man aber jedem x-beliebigen Kegel- oder Stammtisch-Schaf das Politisieren, sprich das Maul verbieten.
Selbstverständlich jedoch, und das stünde außer Frage, dürften derlei öffentliche Äußerungen nicht beleidigend oder schmähend sein, in diesem Punkt gebe es dem Vater des Singschafs völlig recht.
So sprach das Schaf. Der Vater des Singschafs blickte nicht eben überzeugt aus dem Unterfell ... doch das Schaf hatte das Gefühl, ihn zumindest ein wenig besänftigt zu haben. Es bat ihn noch, wenn ihm derlei Äußerungen in Zukunft zu Ohren kommen würden, diese nicht ganz so persönlich zu nehmen wie bisher, oder es zumindest zu versuchen. Es merkte auch an, dass möglicherweise die Informanten des Singschafvaters aufgrund ihrer Infektion mit dem danielesken Schafismus und der damit einhergehend fortschreitenden Kontaktophilie voreingenommen sein könnten, und nicht so zuverlässig, wie er gerne glauben wollte ... in diesem Moment hüpfte das Singschaf heran und das Herz des Schafs hüpfte mit.

Das Schaf war dem Singschaf noch nie so nah gewesen. Diese unverhoffte Begegnung freute es sehr, weil es den Weg des Singschafs von Anfang an verfolgt hatte und sich nun auch noch ein persönliches Bild machen konnte.
Ein musikinteressierter Widder und Beobachter des Singschafs hatte vor Monaten einen bemerkenswerten Satz geäußert. Dieser kam dem Schaf jetzt unwillkürlich wieder in den Sinn, als es dem Singschaf in die schönen braunen Augen blickte.
Der Widder hatte gesagt: „Irgendwie wirkt er tatsächlich mit seiner Unermüdlichkeit wie ein Eroberer. Ich hoffe, daß er weiterhin den Antrieb besitzt seinen Wunsch wahr zu machen, denn eins hat er auf jeden Fall - CHARME !!!"
Und genau so empfand es jetzt auch das Schaf. Es plauderte ein wenig mit dem Singschaf, das verspielt und lieblich zwischen Schafgarbe und Gänseblümchen vor ihm herumtänzelte. Das Singschaf erzählte, dass es von einem lieben Fan Sheepminton-Schläger geschenkt bekommen habe – ob das Schaf sie mit ihm ausprobieren wolle?
So spielten sie kichernd und Supersheep trällernd Sheepminton und das Schaf merkte, dass ihm leicht ums Herz wurde.
Als es noch glücklich gelebt hatte, war es immer schon immun gegen den danielesken Schafismus und die Kontaktophilie gewesen, doch es hatte das Singschaf von jeher sehr gern gehabt. Es erschien ihm wie ein seltenes, bunt blühendes Pflänzlein auf der Weide, das man nicht abfressen sollte.
Dann war die Trauer gekommen, die sein Leben in graues Tuch hüllte. In dieser Zeit war das Schaf unempfänglich für jeden Trost; auch den, den das Singschaf ihm früher spenden konnte, wenn es Klee gefressen oder eins auf die Hörner bekommen hatte..
Doch nzwischen ging es dem Schaf bedeutend besser und es war wieder in der Lage, über den Weidezaun zu blicken. Das Singschaf hüpfte vertrauensvoll vor ihm herum, ein Sonnenlamm, das mit seiner Unbekümmertheit allen Widrigkeiten trotzen und sie bedeutungslos erscheinen lassen konnte. Und das wärmte das Herz des Schafes.
Ihm fiel ein Film mit Alan Ricksheep ein, den es vor Jahren gesehen hatte. In dem Film, der Dogma hieß, erweist sich Gott als Göttin. Eine Göttin, die ihre Mitwesen liebt, die ihr bisweilen albern vorkommen, bisweilen spannend und bisweilen auch nur amüsant. Wenn sie will, kümmert sie sich um sie, und sie weiß, was sie brauchen ... Glück, Schmerz, Trauer, Hass – anything goes. Sie ist kindlich, gütig und manchmal auch ein bisschen schafsköpfig. Diese Göttin spielt und amüsiert sich gern, sie ist respektlos, aber nicht rücksichtslos. Sie nimmt das Leben nicht tödlich ernst. Und auch sich selbst nicht!
Sie hat eine alte Seele, und sie weiß alles, was es zu wissen gibt. Das Schaf hatte vor vielen Jahren die Weiden Tibets besucht, und die Lamas in den tibetischen Klöstern erinnerten sie an die Göttin - alte Seelen mit der Weisheit des Alters und den Spielen der Kinder.
Unser Schaf auf seiner spirituellen Reise wusste natürlich, dass das Singschaf nun weder Göttin noch Lama war. Es war lediglich ein lebhaftes Lamm mit viel Charisma und einer gewissen Ausstrahlung. Doch wenn es so vernügt herumtollte, war an dem Singschaf viel von dem göttlichen Funken sichtbar, den alle Schafe in sich tragen.
Wenn dieser auch im Lauf der Zeit verschüttet werden kann, so geht er doch nie ganz verloren. Die Schafe zu lieben, mit mehr als einem Augenzwinkern – war es das ganze Geheimnis? Das fragte sich das Schaf

Es waren vergnügliche Stunden.
Während der Vater des Singschafs geruhsam graste, tollten das Schaf und des Schafes Freundin mit dem Singschaf auf der grünen Wiese herum. Sie blätterten auch in der Schafspostille, die des Schafes Freundin mit einigen anderen engagierten Schreiberlingen für die Fans des Singschafs auflegte, und das Singschaf zeigte sich gebührend beeindruckt.
Nach einer Weile drängte der Vater des Singschafs, der ja auch sein Sheepager war, zum Aufbruch. Das Singschaf nahm am Abend an einer Reality -TV- Show teil und sollte sich vorher ausruhen.
Bei der Show handelte es sich um das perfide: „Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?“ Bei dieser fragwürdigen Sendung wurden 10 Schafe eingepfercht und mussten durch kluges, listenreiches ( oder intrigantes) Verhalten dem Wolf entgehen, der den Pferch zu nächtlicher Stunde heimsuchte. Wer es nicht schaffte, wurde im Allgemeinen nicht gefressen, doch flog aus der Sendung und wurde von ganz Schafopolis ausgeblökt, eine Schande für jedes Promi-Schaf.
Das letzte der 10 kleinen Schäflein dagegen, das am Ende übrigblieb, erhielt für jede Minute, die es allein im Pferch überlebte, 100 Sheep-Dollar für einen wohltätigen Zweck seiner Wahl. Da das Singschaf bekanntermaßen sehr sozial eingestellt war, wünschten ihm das Schaf und des Schafes Freundin von ganzem Herzen Glück bei seinem ehrgeizigen Vorhaben.
Dass sie auch ein bisschen Angst um das Singschaf hatten, sagten sie nicht, doch es spürte ihre Vorbehalte und legte ihnen beruhigend einen Huf auf die Schulter. „Keine Angst, mir passiert nichts. Ich bin ein Glückskind!“, versicherte es, und wenn sie das auch nicht vollends beruhigte, waren sie doch froh, dass das Singschaf selbst so gelassen war. Sie winkten, bis das hüpfende Singschaf und sein Papa aus ihrem Blickfeld entschwunden waren.
Nach all der Aufregung hatten sich das Schaf und des Schafes Freundin einen Grasburger Kingsize mit einer großen Latte Schafato verdient, die sie sich umgehend gönnten. Und damit wurde dieser denkwürdige Tag würdig beschlossen.

4. Die kontaktophilen Schafe langweilen sich und das Schaf setzt seine spirituelle Reise bei den Toleranzschafen fort
Das Schaf war auf seiner spirituellen Reise völlig ausgelastet und vermisste nichts.
Währenddessen aber machten sich Missstimmung und Unfriede in der Herde breit. Kein Schaf wollte es zugeben, doch besonders die vom danielesken Schafismus befallenen und kontaktophilen Schafe begannen sich zu langweilen. Das Singschaf legte derzeit eine kreative Pause ein und sorgte für wenig Gesprächsstoff. Auch unser Schaf war kaum mehr in der Öffentlichkeit präsent und damit zur Pflege eines befriedigenden Feindschafbildes derzeit unergiebig.
Nun hatten sie den ganzen Tag über nichts zu tun, als auf der Weide herumzustehen und erbost zu blöken, wenn das Postschafi die neue Singschaf-DVD für ihren Geschmack nicht schnell genug bringen wollte.
Die Lämmer im Teeniealter konnten sich am besten in die Psyche des Singschafs hineinversetzen und sie beschäftigten sich ausdauernd und höchst kreativ mit Schafulieren. So sinnierten sie lautstark darüber, ob sich das Singschaf eine Dauerwolle hatte legen lassen. Und ob es zu oft und zu saftig geweidet und gar etwas Speck unter der seidigen dunklen Wolle angesetzt hatte. Natürlich wollten auch alle gern wissen, ob, wie oft und mit welchem beneidenswertem Schaf es sich schon im Heu vergnügt hatte, und suchten ihre Videos akribisch nach verräterischen Heuresten in der seidigen dunklen Wolle ab. (Da das Singschaf sich bekanntermaßen mindestens 3-mal am Tag komplett durchbürsteln ließ,, fanden sie natürlich nichts ...)
Das alles waren legitime Beschäftigungen für Jungfanschafe, unschuldig und unschädlich für alle Beteiligten - wären da nicht die moralischen Altvorderenschafe gewesen. Sie sprachen den Jungschafen das Recht ab, in solch respektloser Weise über die modischen und sonstigen Extraschafanzen des Singschafs zu diskutieren, da dies einen Übergriff auf seine komplexe und sensible Psyche darstelle.
Besonders die dem Schafswahnsinn verfallenen Schafe drehten völlig durch. Sie rotteten sich in neuen Herden zusammen, raunten sich Gehässiges über suspekte und potentiell unlinientreue Schafe zu, und ließen sich geheime Botschaften zukommen wie beim Ku-Klux-Clan.
Das Schaf hatte in der Herde bislang kein Muh und Mäh über sein Treffen mit dem Singschaf verloren. Es befürchtete, dass die kontaktophilen Schafe dies übel aufnehmen würden. Sie nahmen zwar selbst jede Gelegenheit wahr, dem Singschaf nahezukommen und den ersehnten KONTAKT zu haben, aber das war etwas ganz anderes. Sie verdienten das, denn sie liebten das Singschaf ja in echt und hatten nur sein Wohl im Auge! Unser Schaf dagegen konnte nur egoistische Motive haben.
Das glaubten die kontaktophilen Schafe.
Nun hatte das Schaf im Vertrauen einer Freundin von seinem Meet your Sheep! erzählt, doch sie behielt dieses Wissen nicht für sich. Sie war nämlich bereits vom danielesken Schafismus infiziert, und warf hinfort ohne Zögern ihren gesunden Schafsverstand über Bord, um dem Singschaf zu dienen, ob es das nun wollte oder nicht.
Das Schaf erschien ihm jetzt als Feindesschaf, das auf der Weide nichts mehr verloren hatte, und es wollte es loswerden. Und so verbreitete es Unwahres über das Schaf. (Übrigens generell eine beliebte Beschäftigung gemeiner Weideschafe): Das Schaf blöke laut heraus und protze gar damit, dass es mit dem Singschaf ein ganz besonderes Treffen gehabt habe!
Wie wir wissen, wurde das Schaf von diversen Mitschafen misstrauisch beäugt. Und so waren viele nur zu bereit, zu glauben, was das fehlgeleitete Freundinschaf verbreitete. Keines von ihnen hatte jemals gehört, wie das Schaf mit seinem KONTAKT geprahlt hatte, doch sie verbreiteten es als Wahrheit munter weiter. Nun ja, Schafe sind bisweilen nicht besonders helle – so sind Schafe eben.
Einige besonders kontaktophile Schafe rauften sich entsetzt die Wolle, als sie erfuhren, dass das Schaf das Singschaf auf einen Kaffeeblök getroffen hatte. Es hatte das auf keinen Fall verdient und wusste diese Ehre überhaupt nicht zu schätzen ... ein Affront gegen das Singschaf, ohne Zweifel! Und gegen sie natürlich – auch wenn sie das nie zugegeben hätten.
Ein besonders unangenehmes Symptom der Kontaktophilie war nämlich der Glaube, dass man sich den KONTAKT zum Singschaf verdient haben musste, indem man immer die richtigen Dinge blökte und vor allem die richtigen KONTAKT-Schafe traf, die sich bereits in den Hofstaat des Singschafs vorgegrast hatten.
So war die Lage derzeit auf der Weide.
Das Schaf schüttelte darob nur das wollige Haupt, denn all das focht es nicht mehr an.

Zum Glück für die Weide gab es aber noch die große Herde der Realoschafe, die auf die bizarren Vorgänge ebenfalls mit Unverständnis schauten, und von denen jetzt die Rede sein wird.
Die Realoschafe hatten kein Interesse daran, bei jedem nonkonformen Blöken zu Streithammeln zu werden. Sie glaubten, wie es ein verständiges Literatenschaf so treffend formulierte, dass Humor nicht ist, wenn man trotzdem lacht. Das wahrhaft humoristische Schaf erfreut sich gern und oft an dem, was es zum Lachen bringt. Aber es besitzt auch die Fähigkeit, einfach stehen zu lassen, was es nicht nachvollziehen kann - vielleicht schafüsiert sich ein anderes Schaf prächtig darüber! Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit – ein Kernsatz des demoschafisch-freiheitlichen Denkens seit Schafanuel Kant.

Die Realoschafe, oder Toleranzschafe, wie sie auch genannt wurden, beschäftigten sich im Übrigen mit wesentlich wichtigeren Dingen. Mit ihrer intakten Seele fühlten sich in ihrer Wolle im allgemeinen sehr wohl. Daher waren sie auch in der Lage, das Leben in seiner ganzen Vielfalt zu genießen – carpe diem war nicht umsonst ihr Wahlblök.
Sie weideten gern lange und genüsslich, wobei stets ein angeregter Schafsgedankenaustausch stattfand. Sie hatten ein Faible für Süßes und naschten mit Vorliebe Schokoerdbeeren auf der Schafn, dem jährlich stattfindenden Weidefest. Abends tranken sie eimerweise Hammelbräu, ein obergäriges trübes Bier mit einem hohen Stammwürze-Anteil, das ihnen enorm mundete.
Die Schafe waren aber auch eitel. Dazu bekannten sie sich freimütig, und hin und wieder träumten sie von einer Karriere als Modelschaf. Doch zu ihrem Leidwesen ging dieser Wunsch mit ihren epikuschafischen Neigungen nicht eben konform. Sie trugen es mit Humor, wie es ihr Naturell war, und verlegten sich darauf, stundenlang ausdauernd über das Abnehmen zu schafulieren. Dabei kicherten sie ununterbrochen ... es waren zweifellos lustige Schafe.
Jede Woche erschien ein neues Standardwerk, das den angefutterten Pölsterchen zu Leibe rücken sollte. Die einschlägigen Titel kannte jedes Lamm – „Schaf ja, Speck nein!“, „Fitness auf der Weide“ und das Standardwerk der Blauwollschafe „ Das spirituelle Schaf, 4. Band – Friss dich gesund!“ fehlten in keinem Stall.
Die Realoschafe waren bekannt für ihren guten Schafkram. Da ihr Geist und ihre Seele sich keine künstlichen Beschränkungen auferlegten, gingen sie gern und oft ins Heu und waren dort sehr einfühlsam und erfindungsreich!
Da diese Schafe aber auch hoffnungslos schafomantisch veranlagt waren, ganz so wie Schafi McBeal, vergingen oft Jahre ohne Schafkram. Hatte sich so ein Schaf aber einmal ernsthaft verliebt, dann war der Schafkram mit ihm um ein Vielfaches schöner als mit einem puritanischen Hemmschaf, das zwar Joy of Schafkram auswendig kannte, aber ansonsten keine rechte Freude aufkommen ließ.

Die Realo- oder Toleranzschafe waren sehr vielseitig interessiert. Sie hatten ausgeprägte kulturelle Neigungen und einen gutentwickelten Sinn für Ästhetik – einer der Gründe, weshalb sie auch auf das Singschaf standen. Wie wir wissen, schafosophierten sie gern und liebten die Herausforderung beim Diskublöken. Dies wurde bisweilen als Streithammeltum ausgelegt, und damit mussten sie leben.
Viele von ihnen waren ausgesprochen musikinteressiert und manche hätten das Singschaf gern als legendären Rockstar gesehen. Doch man kann nichts erzwingen, und das sahen sie letztendlich ein. So pilgerten sie weiter unverdrossen zu den Konzerten des Singschafs und zu Nightsheep, hörten auch Schafaldis 4 Weidezeiten und Verdis Schafida, und sie respektierten sich gegenseitig in ihrer Verschiedenheit

Interessante Gespräche über Gott und die Weide waren bei ihnen an der Tagesordnung, was bei einigen zu einem Engagement in der grünen Weidepolitik von Schafopolis oder auf karitativem Gebiet führte. Wie gute Pfadschafe bemühten sie sich um soziales Verhalten in der Herde und spendeten regelmäßig Wolle für wohltätige Zwecke wie „Save the wolves!“ oder „Niemals Scheren ohne Schutz!“
Kurzum, es waren aktive, aber keine verbissenen Schafe. Eine gewisse Lockerheit war ihnen eigen, und das Singschaf spielte in ihrem Leben zwar eine wichtige, doch nicht die tragende Rolle. Trotzdem akzeptierten sie auch die vom danielesken Schafismus befallenen Schafe, die ihr Leben zur Gänze in den Dienst des Singschafs gestellt hatten. Jedes Schaf sollte schließlich nach seiner Fasson glücklich werden!
Die Realoschafe lebten ein ausgeglichenes Leben im Einklang mit sich selbst und ihrer unsterblichen Schafsseele. Doch wer nun glaubt, dass sie Engel waren, der täuscht sich - Engel gibt es eben nur im Himmel.
So reagierten sie ausgesprochen allergisch auf Dogmatik und Demagogie. Dergleichen war ihnen zutiefst zuwider, und wenn sie ein anderes Schaf meinungsmacherisch blöken hörten, fletschten sie die Schafszähne, senkten die Hörner und taten durch wohlgesetztes Blöken ihr Missfallen kund. Das reichte meist aus und mehr passierte gottseidank selten.
Naturliebend wie sie waren, kam es vor, dass sie nachts im Schlaffell aus ihrem Stall in die Nacht traten, magisch angezogen von dem silbernen Mond über ihren Hörnern. Sie sahen ihn in seiner Schönheit und gedachten dabei des Singschafs oder auch nicht – wie es sich gerade ergab.
Denn unter ihnen herrschte Toleranz.
Diese verstanden sie nicht im Sinne einer alles nivellierenden achselzuckenden Gleichgültigkeit. Doch sie empfanden Verständnis für die Einzigartigkeit jedes Individuums und traten dafür ein, dass jedem Schaf eine ganz eigene Nische auf der großen Weide des Lebens eingeräumt werden müsse.
(Und spätestens jetzt müsste dem geneigten Leser klargeworden sein, dass die Realoschafe die wahren Winner dieser schafoiden Geschichte sind .. ;-).)

Doch zurück zu unserem Schaf. Auf seiner spirituellen Reise hatte es schon viel gelernt, doch wohin würde es der Weg letztendlich führen?
Wie bereits festgestellt wurde, neigte das Schaf zu sehr starken Gemütsschwankungen. Ohne Zweifel machten sich hier der Einfluss des Wasserbock-Aszendenten und des Vollmonds bei seiner Geburt bemerkbar.
Wenn es sich gerade nicht elegisch seufzend als gebeuteltes Opfer böser Mächte sah, neigte es entweder zu Größenwahn und intellektueller Schafoganz oder aber es stand kurz vor der Seligsprechung. Letzteres war nicht unedel, wirkte sich für das Schaf im knallharten Konkurrenzkampf zwischen Karriereschafen aber auch nicht sehr günstig aus
Bei der Schafopeuthin hatte das Schaf gelernt, wie man mit derlei Macken ein leidlich befriedigendes Schafsleben führen kann, doch offensichtlich haperte es noch an der Praxis.
Deshalb erschien es dem Schaf wie ein Wink des Schicksals, als es von den ausgeglichenen Realo- oder Toleranzschafen hörte, und es beschloss, zu ihnen in die Lehre zu gehen.

5. Das Schaf beendet seine spirituelle Reise, isst einen Grasburger und gibt sich hin.
Die Toleranzschafe begrüßten das Schaf freundlich in ihrem Gehege und sagten: „Liebes Schaf, wer sind wir, dass wir dich belehren könnten! Ist nicht jeder irgendwann im Leben ein bisschen schafsköpfig? Aber wenn du möchtest, dann betrachte deinen Aufenthalt hier einfach als Schafikum!“
Das Schaf freute sich über den unkomplizierten Empfang. Es wusste sehr wohl, dass auch die Toleranzschafe eine gewisse Skepsis ihm gegenüber empfanden, denn sie hatten von den angeätzten und kontaktophilen Schafen Schreckliches über das Schaf gehört.
Es gab fast nichts, was es nicht verbrochen haben sollte; den Erzählungen nach musste es ein rechter Teufelsbraten sein. Die Unvoreingenommenheit der Realoschafe rechnete es ihnen deshalb hoch an.

Jeden Tag ging es nun zum Grasen in das Realotoleranzgehege und blökte mit ihnen über Gott und die Weide. Einige lernte es näher kennen und konnte sich eine Freundschaft mit ihnen gut vorstellen.. Aber tief in seinem Innern rechnete es jeden Tag damit, das Gatter vor den Nüstern wieder zugehauen zu bekommen, denn sein Urvertrauen war geschmolzen wie Schnee in der Sonne.
Doch die Realotoleranzschafe, kurz RTs, waren nicht beeinflussbar von Tratsch und Klatsch. Dieser hatte sie lediglich neugierig auf das Schaf gemacht. Jetzt wollten sie herausfinden, ob die Geschichten über seinen schlechter Schafakter stimmten, denn sie gingen den Dingen gern auf den Grund.
Mit jedem Morgen, den das Schaf mit ihnen vergraste, lernten sie es ein bisschen besser kennen... mit all seinen guten und schlechten Schafaktereigenschaften. Und erstaunt stellten sie fest, dass es ein Schaf war wie jedes andere auch – kein Unschuldslamm, aber auch nicht durch und durch verwolft. Sie sahen, daß es dasselbe Heu wie sie selbst fraß, seinen Morgenkaffee trank wie sie, und dass es ein Faible für Pinguis und Hot Wolves hatte(mit Mayo, Senf und Ketchup). Und wie sie alle träumte es insgeheim von der großen Liebe und einem Dutzend gesunder Lämmer mit seinem Traumschaf.
Dem konnte das Bild vom schrecklichen furchteinflößenden Schaf nicht standhalten!

Die RTs ließen das Schaf nicht fallen. Sie erkannten, dass es eine schwere Zeit hinter sich hatte und sich auf der Suche nach der Richtung befand, die seinem Leben abhanden gekommen war. Es sprach nicht darüber, doch bisweilen vergaß es das Kauen beim Grasen und sein Blick wurde leer. In diesen Momenten entfernte es sich von ihnen, in eine längst vergangene Zeit, an einen längst vergessenen Ort ....

Sein Los konnten und wollten die RTs dem Schaf nicht abnehmen. Auch bedauerten sie es nicht übermäßig, denn sie sahen, dass es zäh war. Es gab so schnell nicht auf und würde nach seiner spirituellen Reise aus eigener Kraft auf die Hammelbeine kommen.
Es brauchte kein Mitleid, doch, wie jedes Lebewesen, blühte es auf bei genügend Zuwendung und liebevoller Fürsorge. Die RTs erleichterten dem Schaf die Widrigkeiten des Alltags, sie waren da, wenn es blökte, und rupften ihm auch mal ein Maulvoll Gras ab, wenn es zu faul zum Aufstehen war.
Und wenn das Schaf wieder einmal dem Größenwahn oder Selbstmitleid verfiel, ununterbrochen von sich selbst sprach, wahlweise Bosheitsanfälle bekam oder sich kurz vor der Seligsprechung befand, dann bekam es umgehend eins auf die Hörner. Liebevoll, versteht sich! Und schon gab es Ruhe und sah sein unangemessenes Verhalten ein (zumindest in den meisten Fällen ... ).
Das Schaf langweilte sich nie auf der Realotoleranzweide, denn der neutrale und unpolemische Gedankenaus- und bisweilen auch Schlagabtausch mit den RTs gab seinem Verstand Nahrung und machte ihm Spaß.
In diesen Tagen erschlossen sich dem Schaf bisher gänzlich unbekannte Wege. So halfen ihm die Realoschafe auf ihre Weise doch, und es sah vieles in einem neuen Licht.

Die allen Schafen angeborene Ausgeglichenheit und Harmonie stellten sich bei ihm nach und nach wieder ein, so dass es angemessene Kritik nicht sofort als Angriff auf sein angeschlagenes Schafswertgefühl betrachtete.
Das Vertrauen in die eigene Lebenskraft und auch in seine Mitschafe kehrte langsam, aber stetig zurück Nicht alle Schafe waren Wölfe im Schafspelz! Es hatte erkannt, dass es Schafe gab, die es mochten, wie es war. Sie würden das Schaf nicht verlassen - schon gar nicht einfach so!
Denn echte und erwachsene Freunde tun das nicht.

In diesem Moment begriff das Schaf, dass seine spirituelle Reise beendet war. Reicher an Erfahrungen, doch weiterhin von Zweifeln geplagt suchte es den Sheep King auf und gönnte sich die obligatorische Latte Schafato und einen Grasburger mit Onion Rings.
Nachdenklich zermahlte es das köstliche Futter.
Es fühlte sich viel besser, in der Tat, doch die Gefühle und Gedanken in seinem Schafskopf wirbelten durcheinander - chaotischer denn je. Sollte es als rächendes Werschaf Angst und Schrecken auf der Weide verbreiten? Würde es danach der Herde noch in die Augen schauen können? Das Schaf kam zu keinem Entschluss, so sehr es auch krübelte.
Und in Kürze war Schafurgisnacht ...!!!

Schafe sind gesellige Tiere. Doch nach all diesen Erlebnissen wollte das Schaf allein sein; zum erstenmal in seinem Leben suchte es die Einsamkeit. In einem abgelegenen Tal in den hohen Bergen überantwortete es sich den heilenden Kräften der ünberührten Natur. Und hier fand es, was es gesucht hatte.

Während die Lämmchen den lieben langen Tag auf den wolfsfreien Wiesen herumtollten, sieht unser Schaf die Berge an und den Mond, der immer voller wird, nachts, bar- und schwarzhufig.
Es streift durch die Juniwälder und die Glühwürmchen, die um seine Schafsnase tanzen, erinnern es an vergangene Zeiten. Dabei denkt es an den warmen Funken Glück, den es verspürte, als der Schafscherer liebevoll seine weiche Wolle streichelte. Es klettert auf die Almen und betrachtet die Frösche in den Trögen, aus denen die Kühe trinken. Und es richtet seinen Blick auf die fernen Gipfel, bis hin zum Großglockner und auf das ewige Eis. Es trinkt aus dem eisigen Gletscherbach und watet in lauen Sommernächten bis zur Bauchwolle in den von der Sonne verwöhnten See hinein. Glühwürmchen, Berge, Flüsse, Seen ... Von der sicheren Böschung aus betrachtet es die vom Regen geschwollenen Fluten, die mit sich reißen, was ihnen im Weg liegt, und Sperriges achtlos ans Ufer werfen.
Und schließlich begreift das Schaf. Ein Flussbett wie ein Schafsleben, beide müssen nehmen, was auf sie zukommt. Was der Fluss mit sich führt, bleibt eine Weile liegen oder wird gleich wieder mit fortgerissen, scharfkantiges Geröll reißt tiefe Narben in das Flussbett und große Steine können seinen Lauf verändern. Kein Schaf kann das aufhalten, ebensowenig wie ein Flussbett das vermag.

So gab sich das Schaf seiner Natur hin und fand schließlich inneren Frieden. Endlich war es in der Lage, sich mit dem Tod des Schafscherers abzufinden, und fortan konnte es gern und oft liebevoll an ihn zurückdenken, ohne bittere Schafstränen zu vergießen.

Nun war auch der geeignete Moment gekommen, um eine Entscheidung in der Werschafsache zu fällen. Diese fiel nun nicht mehr schwer – ohne eine Sekunde des Bedauerns nahm das Schaf Abstand von seinen schnöden Rachegedanken.
Die Vorstellung, mit gefletschten Schafszähnen über seine fehlgeleiteten Mitschafe herzufallen und ihnen die Wolle über die Ohren zu ziehen, erschien ihm mithin absurd. Ein Schaf ist kein reißender Wolf und selbst ein Schaf im Wolfspelz kann nicht gegen seine Natur handeln – es ist und bleibt ein friedliches Wesen.
Natürlich sollte es nicht für jeden Unfug seine Hörner hinhalten, aber es standen adäschaferische Mittel als das Werschafen zur Verfügung, um sich wirkungsvoll zu wehren und Wölfe und anderes Geschwerl erfolgreich in die Flucht zu jagen.
Derart geläutert, fragte sich das Schaf nun doch leicht besorgt, ob es womöglich zuviel Hanf auf der Bergweide erwischt hatte, denn selbst den angeätzten und den kontaktophilen Dumpfschafen gegenüber vermochte es keine Aggression mehr zu empfinden.
Doch das konnte es nicht sein, denn eigentlich fühlte es sich nicht heiliger als früher. Und schließlich merkte es, dass ihm diese Schafe einfach nur egal geworden waren. Sie gehörten zu einem früheren Leben, mit dem das Schaf abgeschlossen hatte. Die Schafe, die es gekannt und geliebt hatte, gab es nun nicht mehr ... traurig, aber der Lauf der Weide.
Das Schaf fasste einen Entschluss für die Zukunft - ab sofort wollte es seinem Schafakter treu bleiben. Solange es niemandem dabei empfindlich auf die Hufe trat, würde es nach seiner Schaffon leben. Und wem das nicht passte, der konnte ihm einen Huf aufblasen!

Soweit so gut. Nachdenklich saugte das Schaf an seiner Latte Schafato, während es den Murmeltieren auf der Alm geistesabwesend beim „Wolf und Schafsdarm“ –Spielen zuschaute.. Wäre da nur nicht noch die Schafurgisnacht gewesen, die auch ohne sein Mittun stattfinden und wie jedes Jahr Dutzende unschuldiger Opfer fordern würde. Sollte ihm das einfach egal sein?

6. Die Schafurgisnacht und die Relativierung der Belämmertheit

Und schließlich war es soweit. Der Tag, auf den die Schafurgisnacht folgen würde, war angebrochen, und hektisch wurden überall entsprechende Vorbereitungen getroffen.
Da die Schafe sich in dieser Nacht nicht in Hexen, sondern in Werschafe verwandeln, können sie naturgemäß nicht auf Besen in der Luft herumfliegen, was im Allgemeinen Luftangriffe ausschließt. (Ein Schaf auf einem Besen wäre auch ein merkwürdiger Anblick ..)
Wie wir schon erfahren haben, mutiert glücklicherweise nicht jedes Schaf zum Werschaf. Betroffen sind nur diejenigen, die explizit den Wunsch dazu im Herzen tragen, aus welchen Motiven auch immer, sowie Schafe mit geschwächtem Immunsystem. Und somit natürlich auch all die vom kontaktophilen Schafismus infizierten Kreaturen ... ein schlimmes Los, das unserem Schaf nun glücklicherweise erspart blieb!

Es wusste, dass die Veränderungen mit Anbruch der Dämmerung einsetzen würden.
Die Wolle der betroffenen Tiere färbt sich in Minutenschnelle dunkel (zum Missvergnügen der gewöhnlichen schwarzen Schafe, die in dieser Nacht äußerlich nicht von den Werschafen unterschieden werden können). Die vom Mahlen der harten Pflanzenfasern meist stumpfen Schafszähne verwandeln sich in tödliche Reißer, die bedrohlich gefletscht werden. Die Werschafe können nicht mehr friedlich vor sich hin blöken, sondern knurren, bellen und mähen missmutig und misstönend durch die Gegend. Frisch mutiert, spucken sie angewidert das Möhrchen aus, an dem sie eben noch genüsslich mümmelten, und vertilgen Fleisch, Insekten und Kleingetier wie dermaleinst Renfield in Erwartung seines Meisters Blökula. Zur Einstimmung auf die Schafurgisnacht besorgen sie sich in den selbstverständlich darauf eingestellten Videotheken blutrünstige Schafaudees, vorzugsweise mit Schlachthofszenen und ganzen Gefriertruhen voller Hammelbraten. Beliebt sind Streifen wie „Beim Scheren geschnitten“, Sheepcocks „Bloodhound Sheep“, „Böcke des Grauens“ oder „Sheepoween“, Teil 1 bis 5. Nicht zu vergessen natürlich auch die Klassiker, Sheepers Creepers und „Die Nacht der lebenden Koteletts“ von Wolli Ramero.
Alles in allem entbehren die Aktivitäten der Werschafe für den unbeteiligten Beobachter nicht einer gewissen Komik, doch für sie selbst (und ihre Opfer!) ist es bitterer Ernst!

Die Veränderung ist nicht nur äußerlich – auch der Schafakter ist betroffen. Die niederen Instinkte verstärken sich und führen zu Enthemmung, Gewaltbereitschaft und bei empfänglichen Schafaktern zu nicht endenwollender Lüsternheit, die die Wirkung selbst einer Überdosis Sheepiagra bei weitem übertraf. Wer einem solchermaßen enthemmten Werschaf in die Hände fiel, hatte nichts zu blöken – es musste sich auf eine lange Nacht im Heu gefasst machen.
Natürlich stießen die Aktivitäten der Werschafe Jahr für Jahr auf ein immer größeres Medieninteresse – längst war die Schafurgisnacht zum Medienspektakel verkommen, und für die sensationslüsterne Herde wurden selbst Szenen, die besser für immer im Dunkeln geblieben wären, im Fernsehen übertragen.
Überall auf den Weiden waren Überwachungskameras angebracht, so dass Sheepevee, ein erfolgreicher privater Sender, die Geschehnisse in der Sendung „Night of the Weres“ nonstop in die Wohnställe beamen konnte - die eher volkstümliche Variante bot das Zweite Schäfische Weidefernsehen mit der besonders unter den konservativen Stallschafen beliebten Schunkelsendung zur Schafurgisnacht, „Solle mer se neilasse?“
Seit Wochen hatten die Lämmer nur noch: „Wer hat Angst vor dem schwarzen Schaf?“ gespielt und sich Wolfsgebisse über die Babyzähnchen gestülpt.. Alle Ställe waren verbarrikadiert worden, und kein Schaf wollte in dieser Nacht freiwillig einen Huf vor die Stalltür setzen. (Abgesehen davon würden sie ohnehin für nichts auf der Weide den Bildschirm verlassen - das war schäfisches Realo-TV par excellence, Schafe wie du und ich mit dem Grauen auf du und du ...was wollte man mehr?)

Es war angedacht, dass das Schaf die Nacht mit den Toleranzschafen im Hammelbräukeller verbringen würde.
Bislang hatte es dazu wenig Lust, obwohl die Toleranzschafe ihm lieb und teuer waren. Doch es war bedrückt und viele Fragen gingen in seinem Schafskopf herum. Es beschloss, dem Drang nach Einsamkeit nachzugeben und einen Streifzug über die einsame Weide zu machen. Mit dem schwarzen Gurt im Huftreten fürchtete es kein verfrühtes Werschaf – jedenfalls keines von der Sorte, die seit Jahrhunderten in der Schafurgisnacht die Weiden unsicher machte.
Und genau da lag das Möhrchen im Pfeffer. Die Aktivitäten des gemeinen Werschafs beschränkten sich im allgemeinen auf sinnentleerte Machodialoge und blutrünstiges Herummetzeln, Tätigkeiten, die mithin den brünftigen Böcken vorbehalten waren.
Doch dieses Jahr war alles anders. Wie würden sich die mit dem kontaktophilen Schafismus infizierten Werschafe verhalten? Es gab keine Präzedenzfälle – der Virus war neu und völlig unerforscht und die betroffenen Schafe somit unberechenbar.
Besorgt dachte das Schaf an die entfesselten Klonsaurier in „Sheepassic Park“ – sie punkteten durch Intelligenz und jagten im Rudel – eine Leistung, zu der die Werschafe bislang mit Abstand zu dämlich gewesen waren. Man konnte nur hoffen, dass es dabei bleiben würde ...

Das Schaf trabte eben krübelnd und entsprechend geistesabwesend am Waldrand entlang, als es in der Ferne eine Bewegung wahrnahm. Dies war erstaunlich, da sich doch bereits alle Schafe in ihre Ställe zurückgezogen hatten. „The Night of the Weres“ hatte auf Sheepevee längst begonnen, mit einem Rückblick auf die Schafurgis-Highlights des letzten Jahres.
Für ein Werschaf war es eigentlich noch zu früh ...aber was wusste man schon in dieser schnelllebigen Zeit. Das Schaf schüttelte missbilligend den Kopf und trabte unbeirrt weiter.
Schließlich konnte es erkennen, welcher mysteriöse Fremdling seinen Weg so unerwartet kreuzte, und wider Willen war es auf der Stelle fasziniert.

Es handelte sich um einen dem Schaf bislang unbekannten Heidschnuck und um das prächtigste Metal Sheep, das es je gesehen hatte.
Die Wolle am Kopf des Heidschnucks war geschoren, bis auf eine abenteuerliche neongrüne Locke zwischen den kunstvoll geschärften Hörnern. Er konnte nicht älter als 4 sein, doch sein ganzes Wesen strahlte ein unglaubliches Schafisma aus - die Luft schien sich förmlich zu verdichten, als er näherkam. Auf das Schaf wirkte er fast wie eine Erscheinung, die aber durchaus nichts Bedrohliches an sich hatte, eher das Gegenteil.
Fasziniert wartete es ab, was der Fremdling als nächstes tun würde. Als dieser das Schaf fast erreicht hatte, blieb er stehen, scharrte einladend mit dem Vorderhuf und mähte mit volltönender Stimme: „Guten Tag, Schaf! Ich bin Shnuckwish aus Hellsheep-Inki und ich freue mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen!“
Das Schaf staunte nicht schlecht. Shnuckwishs Musik war selbst ihm geläufig, und für die Sheepmetal-Szene war Shnuckwish mindestens ein Halbgott. Unter anderem sagte man ihm eine spirituelle Begabung nach – angeblich beherrschte er die Teleschafie oder doch zumindest eine außerordentlich gute Schafskenntnis und großes Einfühlungsvermögen.
Das Schaf betrachtete sein Gegenüber neugierig. Shnuckwish war heftig anzusehen, aber hochgewachsen und muskulös, ohne Zweifel ein stattlicher Bock! Auf den Ohren und am Schwanz befanden sich angemessen bedrohliche Nieten und in den Seiten der blutrot gefärbten Hufe steckten rostige Eisennägel. Um Hals und Fesseln hatte er Fellschoner aus nachtschwarzem Latex angelegt, was seinem Outfit einen erotisch-promiskuitiven Touch verlieh. Die Unterlippe war dreimal gepierct und auf der kahlrasierten Stirn sah man ein prächtiges Tattoo – ein bangendes Herz! Dezente Blutspritzer im kräftigen braunen Fell rundeten das Bild ab, wobei unklar blieb, ob dies die übliche Deko war oder eine spezielle Hommage aus gegebenem Anlass. Unser Schaf war hochbeeindruckt.

Shnuckwish fuhr fort:
„Meine gute Freundin, das Bischaf, das große Stücke auf dich hält..." (bei diesen Worten zwinkerte Shnuckwish verschwörerisch und das Schaf errötete leicht) .. "hat mir von den besorgniserregenden Vorgängen auf eurer Weide erzählt. Ich studiere in Hellsheep-Inki unter anderem Kultur-Schafologie und Sozialwissenschaften und bin daher an Massenphänomenen wie dem kontaktophilen Schafismus sehr interessiert. Beim Durchforsten der einschlägigen Literatur nach Präzedenzfällen stieß ich auf Erkenntnisse, die für euch möglicherweise hilfreich sein könnten. Solcherlei Entwicklungen sind selten und daher für Schafologen hochinteressant. Deshalb bin ich nun persönlich erschienen, um mir ein Bild zu machen.“
Erst jetzt bemerkte das Schaf, das Shnuckwish ein Gefolge von mindestens 30 verzückten Heidschnückchen im Schlepptau hatte, die ihm offensichtlich verklärt jedes Wort von den gepiercten Lippen ablasen und Shnuckwish hemmungslos anhimmelten. Unwillkürlich musste es grinsen und Shnuckwish bemerkte leicht verlegen: „Darf ich vorstellen, meine wissenschaftlichen Schafistentinnen ... es gibt eine Menge zu recherchieren!“ Die Schafistentinnen kicherten und das Schaf konstatierte neidvoll, dass einige von ihnen ausgesprochene Model-Schönheiten waren, die Claudia Schäfer in nichts nachstanden. Zumindest schienen sie aber vollschafig zu sein und das 3. Lebensjahr vollendet zu haben, ein beruhigender Gedanke.
Es riss sich los von dem anregenden Anblick und sagte zu Shnuckwish: „Willkommen in Schafopolis! Ich hoffe, ihr werdet euch trotz der unerfreulichen Umstände hier wohl fühlen.
Wie du vielleicht weißt, ist soeben die Nacht der Nächte angebrochen, und meine Freunde und ich sind sehr besorgt über die anstehenden Vorgänge. Die Lage ist kritisch und kaum berechenbar. Hast du einen Rat, wie wir uns verhalten sollen, um das Schlimmste abzuwenden und ein sinnloses Gemetzel zu verhindern?“
Shnuckwish nickte beruhigend. „Mein Schaf, die Geschichte im allgemeinen und besonderen ist in vielem mit dem klassischen Drama zu vergleichen und läuft ähnlich ab. Auch wenn du befürchtest, das dicke Ende komme noch, so kann ich dich trösten: Das Schlimmste, die Katastrophe, ist bereits eingetreten und überstanden. Denn sie spielte sich in den Köpfen der irregeleiteten Schafe ab, klammheimlich und überaus grauenvoll. Die Schafurgisnacht kann jetzt durch eure aktive Mithilfe endgültig zu einem guten Ende gebracht werden.“
Das Schaf traute seinen Ohren kaum. Shnuckwish wirkte überaus überzeugend und es hatte keinen Grund, seine Aussagen anzuzweifeln. „Nun, so sag mir, was wir zu tun haben!“ bat es. „Wie können wir ein plutiges Ende verhindern?“
„Es liegt nicht in meiner Macht, die Ereignisse vorauszusagen, mein Schaf. Es wird geschehen, was geschehen muss ....“ (Das Schaf gluckste amüsiert - Shnuckwish neigte offenbar zum dämonischen Kryptisieren ...) „ und die Zeitläufte sind überschattet von negativen Energien. Dagegen müsst Ihr halten – Euer Kampf spielt sich nicht auf der Weide ab!“. Shnuckwish sah in diesem Moment so priesterlich aus wie Pater Ralph in den Dornenschafen und das Schaf gluckste noch mehr – Pater Ralph mit Piercing und Blutspritzern war eine umwerfende Mischung.
„Okay, Pater . .. ähm Shnuckwish, dann gib uns wenigstens einen kleinen Hinweis“, bettelte das Schaf, denn es sah wohl, dass Shnuckwish ein wenig gebeten werden wollte ( schon allein wegen der Schafistentinnen...)
„Das tat ich und sag jetzt adè – sweetheart, life ist a cabaret!“
Mit diesen hehren Worten hob Shnuckwish den rechten Huf zum Gruß und machte eine grazile Kehrtwendung. Gefolgt von seinen 30 Schafistentinnen verschwand er langsam in der Dämmerung – was mochte er vorhaben?
Das Schaf wusste es nicht, doch ihm schafte, dass es nicht das letzte Mal von Shnuckwish gehört hatte, und diese Ahnung sollte sich sehr bald bestätigen.

Was hatte Shnuckwish sagen wollen mit seinem fröhlichen „Life ist a cabaret“ ?

Doch während das Schaf noch darüber krübelte, brach überall um es herum die Schafurgisnacht-Hölle los. Die Dunkelheit war gekommen und überall in Schafopolis mutierten friedliche Schäflein zu reißenden Werschafen, die ihre Metamorphose mit einem animalischen Blöken begrüßten. Dieses unnatürliche Heulen war auf der ganzen Weide (und natürlich auf den Bildschirmen) zu hören, und das Schaf überlief es kalt. Aus den Wäldern drangen seltsam krachende Geräusche, erzeugt von Werschafen, die ihr verändertes Gebiss mangels lebender Opfer knurrend an jungen Bäumen wetzten und dabei bedrohlich die Rückenwolle aufrichteten.
Das Schaf machte sich auf die Hammelbeine zu den Toleranzschafen im Hammelbräukeller. Wenn es Shnuckwish richtig verstanden hatte, stand ihm eine lange und anstrengende Nacht bevor, die so leicht keiner von ihnen wieder vergessen würde. Dafür würde es auf jeden Fall sorgen ... ein zufriedenes Grinsen überzog sein Gesicht.

Die normalen Werschafe, die nicht vom kontaktophilen Schafismus infiziert waren, begannen, ihr ganz normales werschäfliches Unwesen zu treiben, dokumentiert und kommentiert von Sheepevee und dessen getreuen Schafsköpfen.
Ein hübsches junges Mutterschaf zum Beispiel, das unter verschärftem Heukummer litt, hatte kurz vor der Schafurgis-Nacht erfahren, dass seine Ex-Liebste eine neue GHG, sprich göttliche Heu-Gefährtin, hatte. Das versetzte es so in Rage, dass es zum Werschaf mutierte, um ihr einmal so richtig die Wolle zu zausen. Als das heukummernde Schaf vor dem Schafstall seiner Ex-Liebsten säuselte: „Ich bins! Schafialein, mach doch kurz auf!“, und diese unvorsichtigerweise die Tür öffnete, hatte Schafialein nichts zu lachen! Werschafhufe und Werschafzähne können gewaltige blaue Flecken und Risse im gepflegten Fell erzeugen, und das Plut spritzte fröhlich durch den mit geschmackvollen Sheepea-Möbeln gerade erst frisch eingerichteten Schafstall. Die durch Sheepevee hautnah am Geschehen teilnehmenden TV-Schafe grinsten schadenfroh und nippten an ihrem Bocksbeutel. Sie fühlten mit dem schnöde verlassene Werschaf; wer will schon so behandelt werden? Schließlich musste die Schafsdarmerie eingreifen – das Werschaf hätte seiner Exfreundin sonst doch noch die Wolle über die Hörner gezogen und das geht ja denn doch nicht. (Obwohl sie es zweifellos verdient hätte ....)
Ein gutaussehender Hammel, der in jeder Herde der Erzeuger von mindestens 20 Lämmchen war, wurde schlimm zugerichtet, weil er seine Schafimente nicht pünktlich entrichtete. Auch hier konnte das Publikum weder Mitleid noch Gnade empfinden – für Schafanovas gilt nun mal: kein Rammeln ohne Reue!

Doch was geschah bei den vom kontaktophilen Schafismus infizierten Werschafen? Ihre Mutation war ordnungsgemäß erfolgt, und gespannt wartete die Beherderung darauf, dass sie sich auf die Suche nach ihren Feinden begeben würden.
Denn dieser gab es viele, seien sie nun echt oder eingebildet.
Wie erwartet, gab es aber Komplikationen.

Die realste Bedrohung dieser Beherderungsgruppe waren bislang die sogenannten Antischafis gewesen. Als sich der Singschafkult verselbständigt hatte, bildete sich nach den Gesetzen der Gruppendynamik sofort eine Opposition, die das Singschaf, dessen Aktivitäten und natürlich seine Anhänger aufs schärfste verurteilte.
Diese Antischafis glaubten, der Singschafkult trage zur Schafsverblödung bei und sei daher hochgefährlich.
Die Singschaffans dagegen glaubten, die Antischafis seien Abgesandte des Hammeldämons und zu jeder kriminellen Handlung fähig.
Bemerkenswerterweise unterschieden sich die Methoden bei der gegenseitigen Diskriminierung und Denunzierung wenig bis gar nicht.
Bisweilen schlichen sich Singschaffans bei den Antischafis ein und versuchten, diese in geringfügig polemischen Debatten zu bekehren, mit nur mäßigem Erfolg. Die Antischafis dagegen versuchten laufend, sich unter die Singschaffans zu mischen wie die Ghostbusters, denn sie wollten gar zu gern eine Gehirnwäsche an ihnen vornehmen. Mit überhaupt keinem Erfolg.
Es war zu vermuten, dass die Wersingschaffans sich als erstes auf die Antischafis stürzen würden bzw. die Werantischafis auf die Singschaffans.
Besonders die vom kontaktophilen Schafismus infizierten Werschafe waren ganz heiß darauf, die Antischafis zu fressen. Kannibalismus war in der Nahrungskette für sie zwar nicht vorgesehen, aber für seine Überzeugung muss man nun mal Opfer bringen.

Die infizierten Werschafis pflegten aber noch diverse andere Feindbilder. In ihren Augen war eigentlich jeder verdächtig, der nicht sein komplettes Schafsdasein in den Dienst des Singschafs gestellt hatte, und so witterten sie auch in den eigenen Reihen ständig Unrat, eine wirklich lästige Begleiterscheinung des Schafismus.
Zu allem Überdruss gab es noch diverse Splittergruppen, die sich mit Misstrauen beäugten. Die Mutterschafe oder die, die es gern geworden wären, lebten mit der Singschafverehrung ihre durchaus legitimen Sehnsüchte (welcher Art auch immer) aus. Allerdings konnten sie den jugendlichen Überschwang, mit dem die kaum den Lammhufen entwachsenen Teenieschafe ihren Schwarm anbeteten, nicht gutheißen. Sex und Erotik waren selbstverständlich okay und etwas ganz Natürliches, aber nur in geordneten Bahnen, jawohl .... und überhaupt, nur sie wussten, was wirklich gut für ihren Liebling war. Wie halt Mutterschafe so sind.
Die Jungschafe untereinander hatten ganz andere Sorgen – unter ihnen herrschte ein harter Konkurrenzkampf, obwohl sie unter den Singschaffans vermutlich die normalsten waren. Jedes von ihnen wollte dem Singschaf so nah wie möglich kommen. Jungschafe dürfen über die Stränge schlagen, ganz klar!
Dann waren da ja auch noch die angeätzten Schafe, die dem Schaf am Beginn unserer Geschichte so unfreundlich mitgespielt hatten. Sie bewegten sich als Sympathisanten frei unter den Fans und waren so manchem kontaktophilen Schaf freundschaftlich verbunden. In letzter Zeit allerdings nagten die Zweifel am Geisteszustand derselben leise, doch immer unüberhörbarer an ihnen. Diesen blieb das nicht verborgen, eine weitere Unwägbarkeit dieser Schafurgisnacht.

Und so kam es, dass sich auf der großen Weide blutrünstige Werschafe der verschiedensten Lager befanden, die gierig sabbernd auf ein Plutbad hofften. Doch anstatt sich auf die Suche nach zu zerfleischenden Opfern zu machen, geschah etwas, was niemand erwartet hatte: Vor lauter Eifer und Ungeduld wurden sie handlungsunfähig. Nicht mehr in der Lage, zu entscheiden, wem sie zuerst ihre wunderbaren neuen Reißzähne ins zuckende Fleisch jagen sollten, wussten sie nicht mehr ein noch aus! Und so taten sie das, was jedes Schaf tut, wenn es nicht weiterweiß - es setzt sich an den Rechner, und beginnt zu blöken.
Und das geschah auch jetzt in der Schafurgisnacht.


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